Blog-Übersicht
– von Nele

Machst du eine Pause?

Hallo, Leistungsgesellschaft!

Und könnt ihr über Weihnachten überhaupt Urlaub nehmen?
Arbeitest du dann manchmal abends noch, wenn die Kinder schlafen?
Hast du am Wochenende frei?

In einer meiner früheren Anstellungen hing gut sichtbar an der Pinnwand im Büro ein Foto von Arbeiterinnen, die zu Zeiten der Industrialisierung für die 80-Stunden-Woche demonstrieren. Ein scherzhafter Kommentar zu den Vorstellungen der „jungen Leute“, die in diesem Büro zuhauf kamen und gingen. Die wollten nämlich nicht mal mehr 40 Stunden arbeiten. Man mochte das noch verstehen, wenn da Kinder im Spiel waren, denn der Kernfamilie musste und durfte man sich notgedrungen widmen. Aber kinderlose Menschen? Was sollten die denn schon mit Freizeit anfangen wollen? Und überhaupt sollte doch jeder Mensch dankbar sein, arbeiten zu dürfen. Früher hätten Angestellte gerne Überstunden gemacht und das Wochenende durchgearbeitet, alles zum Wohl der Firma, für den Zusammenhalt im Team, für den nächsten großen Pitch, für die nächste wichtige Deadline.

40 Wochenstunden. An einem normalen Tag mit normalen rundum-Lebens-Verpflichtungen gehen bei mir spätestens nach 6 Stunden Bildschirmzeit die Lichter im Arbeitsgehirn aus. Es mag vorkommen, dass ich abends nochmal kreativ werde, wenn niemand mehr was von mir will, dass ich morgens auf dem Fahrrad oder nachmittags an der Supermarkt-Kasse gute Ideen habe. Ich bin auch überzeugt, dass Kreativität schon auch mit Disziplin zu tun hat, und dass man sich manchmal auf seinen Hintern setzen muss und Dinge abarbeiten, bis sie fertig sind, sonst bekommt man kein Ergebnis, mit dem man zufrieden ist, verdient auf lange Sicht kein Geld, verliert Kund:innen und bekommt schlechte Laune. Aber man muss Pause machen. Und Feierabend auch.

Lasst uns doch das Privileg erkennen, wenn wir einem Job nachgehen, in dem wir das können. Unfallchirurg:innen, Altenpfleger:innen, Kellner:innen, bei der Müllabfuhr Beschäftigte, – die Liste geht weiter – können oft keine Pause machen wenn sie müssten oder wollen. Wir Menschen mit den Büro-Jobs, an denen keine Menschenleben hängen, wir können das. Und keine Krankenpflegerin profitiert davon, wenn wir uns kaputt arbeiten, weil wir uns sonst wertlos fühlen.

Und nicht nur in den größeren Agenturen, gerade auch unter Selbstständigen gibt es einen weit verbreiteten Workaholic-Stolz.
„Ich kenne nur Selbstständige, die die ersten sechs Jahre in der eigenen Firma gar keinen Urlaub nehmen konnten.“
„Die letzte Deadline hab ich wieder nur geschafft, weil ich drei Nachtschichten geschoben hab.“
„Du, die nächsten vier Wochen sind komplett zu, ich schaff vielleicht einen schnellen Kaffee mit dir am Mittwoch..“

Ich krieg da Stresspusteln nur vom Zuhören. Der Glaubenssatz, dass Arbeit und Leistung meinen Wert definieren, hat auch in meinem Kopf seeehr tiefe Wurzeln. Aber ich hab auch gelernt, dass irgendwann mein Körper streikt, wenn ich ihm ständig sage, nur noch schnell das, nur noch schnell das, nur das noch, dann machen wir eine Pause. Dann organisiert er uns eine Grippe oder einen Nervenzusammenbruch, damit wir beide nichts mehr anderes können als zu liegen, weil dann selbst ich merke, dass es ohne diese Zwangspause nicht mehr weiter geht. Mittlerweile gebe ich mir alle Mühe, dass es erst gar nicht so weit kommt.
Es gibt keinen Preis dafür, der müdeste Mensch der Welt zu sein. Niemand sagt, danke, dass du dir schon wieder beide Beine ausgerissen hast letzten Monat. Manchmal geht es nicht anders, schon klar. Aber viele von uns können sich selbst aussuchen, worauf sie Wert legen wollen. Mein Wert liegt natürlich zu großen Teilen auf meiner Arbeit, denn die tue ich sehr gerne. Aber er liegt genauso auf den Menschen und Beziehungen um mich herum und die kann ich nicht pflegen, wenn ich immer nur versuche, die nächste Deadline zu schaffen.

Ich bin verdammt privilegiert, weil ich oft Pausen machen kann, wenn ich sie brauche und ich versuche, das beste draus zu machen.

Du willst mit uns zusammen­arbeiten?

Wir freuen uns, von dir zu hören!

Ab die Post!