Als mich im Herbst 2023 die Anfrage erreichte, ob ich mir vorstellen könne, Mentorin in einem Förderprogramm für Gründerinnen zu sein, klingelte es sofort an meiner inneren Wohnungstür: Dingdong, ein Paket vom Imposter-Syndrom-Verteilzentrum für Sie! Es war bis oben hin gefüllt mit Selbstzweifeln, Unsicherheit und kleinmachenden Gedanken: „Ich?! Ich bin ja selbst noch gar nicht lange selbstständig und hab doch eigentlich gar nicht wirklich Ahnung und gar keine Angestellten. Wie sollte ICH denn bitteschön anderen kluge Ratschläge zum Thema Unternehmerinnentum machen dürfen?“
Heute bin ich schon im zweiten Jahr ehrenamtliche Mentorin im Förderprogramm neudeli empowHER, denn es ist natürlich Quatsch mit Soße, dass ich gar nix weiß und noch weniger weitergeben kann – und weil vermutlich viele Frauen leider immer noch genauso reagieren würden wie ich, braucht die (patriarchale) Welt solche Programme und neue Vorbilder!

Mit dem empowHER Programm werden Frauen dabei unterstützt, ihren Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Neben Workshops und Coachings zum Thema Unternehmensgründung durch die Gründungswerkstatt, einem Sachmittelbudget und einem optionalen Stipendium, bekommen die Gründerinnen eine beratende Mentorin an die Seite, von deren Erfahrungsschatz sie profitieren können. Denn nicht jeden Fehler, aus dem man lernen kann, muss man selbst machen!
Mühsam ernährt sich die wissbegierige Gründerin
Als wir, Nele und ich, unser Unternehmen gegründet haben, standen wir vor einem riesigen Berg Fragen. In unserem Studium haben wir uns zwar Fähigkeiten erarbeitet, um die Kreativmaschine zu bedienen, aber keine von uns hat Kenntnisse in Betriebswirtschaft, Steuersätzen oder Unternehmensführung erlangen können. Klar, wir kannten einige Selbstständige und hatten auch selbst als Kleinunternehmerinnen schon mal Rechnungen geschrieben und eine Steuererklärung gemacht. Aber es gehört eine ganze Menge mehr dazu, von seiner selbstständigen Tätigkeit leben zu können und den Laden am Laufen zu halten.
Also haben wir den riesigen Berg Stein für Stein, Frage für Frage abgebaut und uns Wissen angeeignet. Dafür haben wir viel Zeit, Nerven und Hirnschmalz gebraucht. Wir haben jede Menge Ratgeber gelesen (Literaturliste folgt!) und uns durch Foren gegooglet. Wir haben Kontakt mit Anwaltskanzleien, der IHK und Steuerbüros aufgenommen, um uns beraten zu lassen. Wir waren bei Veranstaltungen und Workshops vom Thüringer Existenzgründerzentrum, der Thüringer Akademie für Kreativwirtschaft und der Gründungswerkstatt neudeli. Und wir haben natürlich anderen Selbstständigen Löcher in den Bauch gefragt!
Die Zeit, in der wir uns Wissen angeeignet haben, mussten wir von der Zeit, die wir verkaufen konnten, abziehen. Wenn uns mal wieder die Köpfe rauchten, haben wir uns angeguckt und genervt in Frage gestellt: „Das muss doch auch anders gehen! Kann doch nicht sein, dass jede:r Gestalter:in all diese Infos mühselig sammeln muss, um am Ende vor einem losen Tausend-Teile-Puzzle zu sitzen, das erst noch zusammengesetzt werden muss, bevor man schlau daraus wird.“

Beim Auftakttreffen der neuen empowHER-Runde bekamen wir alle die Aufgabe, unsere Gründungsidee mit Bastelmaterialien darzustellen. Easypeasy!
Ich weiß was, was du nicht weißt und das ist ...
Dieses anfängliche Überforderungsgefühl wirkt noch immer nach. Daher haben wir uns vorgenommen, unser angesammeltes Wissen weiterzugeben. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen! Dies tun wir mittlerweile auf verschiedenen Wegen:
Von Zeit zu Zeit bekommen wir Praktikumsanfragen von Studentinnen oder Initiativbewerbungen von Berufsanfängerinnen (ja, ausschließlich von weiblich gelesenen Personen!). Zwar können wir (noch!) kein Praktikum oder eine Mitarbeit in unserem Büro ermöglichen, aber wenn wir echtes Interesse aus der Bewerbung herauslesen, bieten wir immer an, ins Gespräch zu kommen. Schon ein paar Mal haben wir jungen Frauen Fragen zum Studium, zum Beruf an sich und zur Selbstständigkeit beantwortet.
Zusammen mit anderen selbständigen Gestalter:innen aus Weimar haben wir einen Stammtisch gegründet. Einmal im Monat beschnacken wir in gemütlicher Atmosphäre, wo der Unternehmer:innenschuh gerade besonders drückt und lernen immer wieder Neues voneinander.
Im Blog der Thüringer Agentur für Kreativwirtschaft haben wir uns als dynamisches Gestalterinnenduo (hehe!) in der Reihe 6 Fragen an kreative Köpfe vorgestellt und in der Rubrik Kreative Räume über unsere fabulöse Bürogemeinschaft und die gewinnbringende gegenseitige Unterstützung berichtet.
Und, um den Bogen zu schließen: Für die Gründungswerkstatt neudeli standen wir bereits in verschiedenen Formaten Rede und Antwort: In einer Online-Veranstaltung mit dem Titel Female Founders Talk, in Folge 1 des neudeli-Podcasts Auf eigenen Wegen und nun eben als Mentorin im empowHER-Programm.


Geben und Nehmen ist ein gutes Prinzip
Und was habe ich davon, dass ich meinen Erfahrungsschatz teile und kluge Tipps gebe? Das gute Gefühl und das Wissen, eine andere Frau in ihrem Prozess zu unterstützen, ihr einige Ängste und Sorgen bezüglich der Selbstständigkeit zu nehmen und – das Allerwichtigste für mich – ich bekomme diesen bestimmten Funken, diese sprudelnde Energie, diese unbeschwerte Leidenschaft zurück, die Gründer*innen in sich tragen. Denn je länger ich selbstständig bin, umso mehr wird aus der anfänglichen Spannung und Aufregung ein ganz normaler Arbeitsalltag mit Höhen und Tiefen. Der Grund für meine eigene Selbstständigkeit tritt in den Hintergrund und verblasst. Doch die Gespräche mit den Gründerinnen holen die Erinnerungen an unsere Anfangsphase zurück und tauchen sie wieder in Farbe. Gegründet habe ich nämlich aus und mit der Überzeugung, dass mein Arbeitstag abwechslungsreicher und erfüllender sein muss, als Tag für Tag in einem Großraumbüro zu sitzen und Bratwurst-Pixel zu schieben. Und mit diesem Gefühl und dem besonderen Glitzern in den Augen kehre auch ich motiviert wieder an meinen eigenen Schreibtisch zurück.
Sei anderen das Vorbild, das du selbst gebraucht hättest
Ich bin der Meinung, dass Geheimniskrämerei in unserem Berufsfeld nur zu Neid und Missgunst führen und dass Transparenz und Kommunikation die Schlüssel zu einem besseren Arbeitsalltag für uns alle sind. Lasst uns das angestaubte Klischee bedienen, dass Frauen dazu neigen viel zu reden, und genau das zu unserem Vorteil machen: Offen und ehrlich über Arbeit, Geld und Gleichberechtigung sprechen, gesammelte Erfahrung und Erkenntnisse teilen und dadurch ENDLICH diese sozialisierungsbedingte Unsicherheit abschälen! You go, girl!